Herbst in der Eng

Dr. Martina Melzer, 03.10.24

 

 

Sie hatten Zwischenhocheinfluss angesagt und in der Nacht davor Schnee bis auf 1500 Meter. Aber für einen Sonntag. Ausgerechnet Sonntag. Anfang Oktober fährt halb München, Oberbayern und Tirol zum Großen Ahornboden im Karwendelgebirge, in „die Eng“ halt. Es geht um die Ahornbäume, die sich dann oft golden oder rostbraun verfärben. Dahinter Berge wie in den Rocky Mountains. Ein echtes Naturschauspiel. Der angeblich schönste Platz Tirols. Aber deswegen auch völlig überlaufen.

Da vor und nach diesem Sonntag Dauerschlechtwetter angekündigt war, beschloss ich: Ich fahre trotzdem. Schon auf der Hinfahrt überall Nebel- und Lichtstimmungen, Wolkenfetzen, Schnee auf den Bergen, teils verfärbte Bäume, die Seen still. Ich hätte überall anhalten können. Aber je mehr Zeit ich verstreichen lassen würde, desto eher würde ich in einer Karawane Richtung Ahornboden fahren – mit Autos, Oldtimern, Campern, Reisebussen, Motorradfahrern, Mountain- und E-Bikern.

Berge spiegeln sich in See, Sylvensteinsee im Herbst
Wildfluss, Stromschnellen, Fluss vor Bergen im Herbst, Rissbach, Karwendelgebirge

Also hielt ich nur kurz am Sylvensteinspeicher an. Schoss ein paar Bilder. Und hastete wieder zum Auto. Der Verkehr hielt sich in Grenzen, ich war früh genug, viele parkten auf den Wanderparkplätzen. Am Rissbach musste ich wieder halten. Es ging nicht anders. Da ist so ein Lieblingsplatz. Schwer, sich davon wieder zu trennen. Aber die Ahornbäume warten, es klart gerade total auf, die frisch verschneiten Felswände leuchten.

Berge spiegeln sich in Tümpel, Morgenlicht, Herbst, Großer Ahornboden, Karwendelgebirge

Nach der letzten Kurve der Blick in die Eng. Mei. Wahnsinn. Immer wie beim ersten Mal. Fast fahre ich wieder in den Graben, vor lauter Staunen. Ich entdecke eine Lacke, die ich noch nie gesehen habe. Muss am vielen Regen der letzten Tage liegen. Die Felswände spiegeln sich im Wasser. Ein Traum. Natürlich halten hinter mir gleich mehrere Autos, um dasselbe Motiv zu machen. So ist das hier, in der Eng.

Angekommen am fußballfeldgroßen Parkplatz ergattere ich ganz vorne einen Platz, noch nicht viel los hier. Sofort fallen mir die ersten Motive vor die Füße. Und obwohl ich mir eigentlich vorgenommen hatte, alles ganz entspannt zu machen und die Kulisse zu genießen, verfalle ich wieder dem Fotografierwahn. Hier Stromschnellen mit Ahornblättern, da ein verfärbter Baum vor der Spritzkarspitze, Sonnenstern mit Ahornbaum, die Almhütten der Engalm. Wie berauscht mache ich noch dieses Foto und jene Einstellung.

Nach drei Stunden bin ich erledigt. Im Bauernladen kaufe ich Brot, Kaminwurzen, Schokolade und eine Andenkentasse (konnte nicht widerstehen). Hat fast 50 Euro gekostet. Wollte ich mir aber leisten. Auf dem Weg zum Auto die letzte Aufnahme: der alte knorrige Baum, den jede/r Fotograf/in aufnimmt, kurzer Austausch mit anderen Fotografen, die genauso hektisch wirken wie ich. Dann zurück ins Auto. Das Fußballfeld ist inzwischen gut gefüllt. Man wartet bereits, dass ich schneller ausparke, hupt, gestikuliert, ich soll den Platz freigeben. Dann geht es, gegen den Strom, wieder zurück. Eine ordentliche Brotzeit und ein fettes Stück Kuchen muss ich mir auch noch gönnen, am Talausgang auf einer Hütte neben der inzwischen völlig überlaufenen Straße in die Eng.

Schee war´s.